So ist das also, wenn man eine Wandertour in ein unbekanntes und kaum dokumentiertes Gebiet plant und dabei auch eine nirgends näher beschriebene Gratwanderung in Erwägung zieht: Das Gelände vor Ort sieht dann häufig doch anders aus, als man es in der spärlichen Literatur vorgefunden und dementsprechend am Reißbrett bzw. am PC vorausgeplant hat.
Anreise:
Tagwache um 4 Uhr morgens (ein Bekannter würde sagen “Nullvierhundert”, eventuell würde er in einem Anfall tollkühner Abkürzungsmanie auch nur von “Vierhundert” sprechen). Nach dem obligatorisch ausgiebigen Frühstück geht es zu Anfahrt ins salzburgerische Lungau, wobei ich das “Vergnügen” hatte, bei den noch immer bestehenden Ampeln im Umfeld von Schladming gleich zwei Mal eine unfreiwillige Wartepause einlegen zu müssen.
Weiter über Radstadt und Obertauern am Radstädter Tauern nach Mauterndorf. Nun Richtung Osten bis Mariapfarr und weiter nach Norden über Kraischaberg bis zum Schranken ins Lignitztal (ca. 1.390).
Aufstieg auf das Hocheck:
Im Bereich des Schrankens gibt es einige Autoabstellmöglichkeiten. Über den nur mäßig ansteigenden Almboden geht es auf der Schotterstraße an Zehnerhütte und Kocherhütte vorbei bis zu den Hinteren Lignitzalmen. Am Fahrverbot vorbei, das ab hier auch für Radfahrer gilt, geht es noch etwa 800 bis 900 Meter am ebenen Talboden Richtung Lignitzsee, bis man auf eine weiße Hinweistafel trifft, die den Weg Richtung Hocheck nach rechts hinein in den Wald anzeigt.
Im Wald, einen noch immer vorhandenen Lawinenkegel mit allerlei “Gerümpel” in seinem Umfeld passierend, erreiche ich eine größere strauchbewachsene Lichtung, die in eine zunehmend aufsteilende und sich nach oben hin verjüngende Grasrinne mündet. Das nicht immer deutlich ausnehmbare Steiglein (Markierungen auf den rechts begrenzenden Felsen) windet sich sehr steil bergan.
Am oberen Grabenende verläßt man diesen nach links – noch immer sehr steil und mitunter erdig-rutschig.
Etwas gemächlicher wird das Gelände erst oberhalb der Baumgrenze bei ca. 2.000 Meter Höhe. Die Markierungen sind nicht unbedingt üppig angelegt, aber für den erfahrenen Bergwanderer auf jeden Fall ausreichend – und einem Wandereinsteiger würde ich das Hocheck ohnehin nicht empfehlen. Neben den üblichen Rot-Weiß-Rot-Kennzeichnungen gibt es auch jede Menge hilfreicher Stoamandln, dessen Errichter bzw. Erneuerer (herzlichen Dank an dieser Stelle) sich am 17.05. als erster Besteiger im Jahre 2009 ins Gipfelbuch am Hocheck eintragen konnte. Mein Eintrag war übrigens erst der Dritte in diesem Jahr.
Bei einer Höhe von ca. 2.300 Meter bin ich zu übereifrig und steige zu hoch auf. Der Steig zieht hier aber nach links zu einem tiefen, markanten und noch immer schneeführenden Graben hinüber. Rechts der Schneerinne zieht das Steiglein über felsige Rippen und grasdurchsetzte, erdige Steilhänge. Bei Trittsicherheit und trockenen Verhältnissen bei entsprechend konzentriert gesetzten Schritten aber kein gröberes Problem.
Einmal habe ich kurz Schneeberührung, die Rinne hätte sich aber auch recht unschwierig bei maximal I-er-Kletterei umgehen lassen. Schließlich erreiche ich über den schottrigen Steig eine unscheinbare kleine Einschartung, wenige Meter südlich unterhalb des Gipfelkreuzes. Über den stachelgrasbewehrten Rücken gelange ich schließlich auf den höchsten, sehr aussichtsreichen Punkt.
Neben dem höchsten (Hochgolling) überblickt man von hier auch einige der markantesten (Kasereck) Gipfelerhebungen der Schladminger Tauern.
Weit im Norden erkennt man das Dachsteingebirge, im Westen grüßt der Großglockner aus den Hohen Tauern herüber. Im Osten überragen Preber und Roteck ihre Gipfelkameraden. Im Süden – jenseits von Mariapfarr und Tamsweg – beginnen die wesentlich sanfteren Nockberge.
Die Aufstiegszeit war um einiges kürzer als veranschlagt. Dennoch kam im böigen Wind am Gipfelkamm keine richtige Jausenstimmung auf und ich wollte möglichst rasch die große Unbekannte hinter mich bringen: Die ausgesetzte Gratwanderung hinüber zur Leßhöhe, wo ich beim Gipfelkreuz einige Wanderer erkennen konnte.
Die Schwierigkeitsbewertung für den Gratübergang vom Hocheck zur Leßhöhe im Alpenvereinsführer halte ich für definitiv falsch:
I (Stellen), Blockgrat. Gratlänge etwa 1500 m, 1 1/2 Std. Der Grat wird durchwegs begangen.
Die Felstürme, ausgesetzt und nach beiden Seiten über dunkle Felswände abfallend, sind mit Sicherheit schwieriger als I. Daneben sorgte auch noch der böige, starke Wind am Grat für zusätzliche Verschärfung und bei mir für ein mulmiges Gefühl.
Die ersten beiden Felsstufen überkletterte ich noch, wobei ich mich bei der zweiten schon einigermaßen überwinden mußte – hier schätzte ich die Schwierigkeiten auf II ein. Danach warteten aber noch einige größere Einschartungen und eine scharfe Gratschneide, so dass ich mir nach der Alpenvereinsbeurteilung sicher war, dass ich nicht mehr am richtigen Steig unterwegs war.
Also Abbruch und zurück zum Ausgangspunkt, wobei das Abklettern über den soeben bezwungenen Turm noch einmal eine Stufe fordernder war. Wenn es im Osten nicht funktioniert, probieren wir es halt westlich des Grates. Da ich in der Scharte zuvor ein Stoamandl entdeckt habe, könnte es hier richtiger sein. Also hinaus in die ausgesetzte Felsflanke, nicht so schwierig wie auf der Ostseite, allerdings steil abfallend. Aber schließlich stand ich auch hier an.
Das grundsätzliche Problem wären nicht die II-er, vielleicht II-III-er Stellen gewesen. Aber was, wenn ich mich gänzlich verhaut habe, und der einfache, dokumentierte I-er-Weg doch woanders verläuft und ich in noch schwierigere Situationen kommen würde, wo es kein Vor und kein Zurück mehr gäbe.
Also – hartnäckig, wie ich nun einmal bin – ein dritter Anlauf. Dieses Mal weiter nach Westen durch eine steile Rinne absteigend, versuchte ich irgendwo weiter unten einen vernünftigen Übergang zu finden. Aber auch hier wären einige sehr steile grasdurchsetzte Felsrippen sehr zeitaufwändig zu überwinden gewesen.
Der Wind tat sein Übriges, so dass es mir jetzt nach fast einer Stunde erfolgloser Übergangssuche reichte. Abstieg am Anstiegsweg zurück und hinab ins Lignitztal. Der Taleinschnitt hatte mir schon am frühen Morgen im Schatten sehr gut gefallen, aber kein Vergleich mit dem farbenkräftigen Grün und den bunten Alpenblumen, welche das großartige Almgelände mit den dutzenden wiederkäuenden Rindern jetzt um die Mittagszeit zu bieten hatte.
In dieses wunderschöne Tal werde ich (mindestens noch einmal) wiederkommen.
Eigentlich hatte ich ja jetzt schon eine vollwertige Bergwanderung hinter mir. Sollte ich es dabei belassen ?
Irgendwie verspürte ich aber noch zuviel Energie, wenngleich auch die Hitze die sich mit abnehmender Höhe ausbreitete, schön langsam Tribut forderte. Hatte es beim Start am Morgen erst +5°C, so zeigte das Thermometer jetzt um die Mittagszeit +23°C an. Auch der oben am Gipfel noch unangenehm kühle und alle Kleidungsreserven fordernde Wind war jetzt nur noch ein nicht mehr zu erfrischen vermögendes Lüfterl.
Aufstieg auf Gensgitsch und Leßhöhe:
Nein, ich konnte jetzt noch nicht nach Hause fahren. Nicht zuletzt würde ich dann noch einmal extra für diesen Gebirgszug anreisen müssen. Also kurzes Studium der Karte und neuer Plan: Über Hintergöriach wollte ich nun über die Ostseite auf Gensgitsch, Pollannock und Leßhöhe aufsteigen.
Nachdem ich mir zuvor den Temperaturen entsprechend luftigere Wanderbekleidung angezogen hatte, machte ich mich vom Parkplatz nahe dem Moargut auf den Weg. Zwischen den Hofgebäuden hindurch und weiter oben nach der Passierung eines Tores gleich nach links neben einem Bankerl durch den Wald hinauf (diesen schönen Weg habe ich mangels entsprechender Markierung erst beim Abstieg gefunden, beim Aufstieg bin ich noch ein bißchen durch den Wald geirrt).
Der Weg ist unüblich mit Rot-Gelb bzw. weiter oben auch mit Weiß-Rot-Weiß markiert und mit G6 beschriftet. Am oberen Ende vom “Moabergsteig” zeigt eine Tafel den Weg zur Gensgitschhütte über die Forststraße mit einer Dreiviertelstunde an. Unschwierig erreiche ich die Hütte und das darüber folgende Almgelände an der Baumgrenze bei ca. 1.800 Meter Höhe. Über sanfte, mäßig steigende Almmatten, gewinnt man hier nur langsam an Höhe. An Kühen und Pferden, sowie an einer Quelle (die mir beim Abstieg noch als “Lebensretter” dienen wird) vorbei – ein im Abstieg befindliches Wandererpaar begrüßend – erreiche ich schließlich das flache Plateau auf der Gensgitschhöhe mit dem hohen Gipfelkreuz.
Da ich abgesehen vom Frühstück um 04:00 Uhr morgens und einem Apfel und zwei Nektarinen knapp unterhalb der Gensgitschhütte heute noch nichts gegessen hatte, macht sich in mir eine leichte Schwäche bemerkbar. Ich muß mir eingestehen, dass ich auch nicht mehr der Jüngste bin, wenn mir kaum über 2.000 Höhenmeter nun schon Probleme bereiten.
Der Hauptgrund lag aber in meinem Flüssigkeitsmangel. Am Vormittag im kalten Wind hatte ich noch kaum getrunken. Jetzt aber im neuerlich Anstieg in der Nachmittagshitze kam ich mit dem Trinken nicht mehr nach – aber allzuviel Flüssigkeit hatte ich auch nicht wirklich mit mir (lediglich 2,5 Liter), und die, die ich hatte, war mittlerweile schon teemäßig warm.
Am Weg auf den (das ?) Pollannock überlegte ich erstmals, ob ich nicht doch wieder umdrehen sollte, zumal es nun schon fast halb 6 Uhr nachmittags war. Am Weiterweg zu einem namenlosen Vorgipfel südlich der Falterscharte mußte ich aber einmal eine Pause einlegen, und mich heute erstmals niedersetzen. Das Wurstbrot war auch kein richtiger Genuss, ich pickte mir zuerst einmal nur die wässrigen Essiggurkerln heraus, um meinen völlig ausgedorrten Mund etwas zu befeuchten. Ein Coca-Cola hatte ich mir ja bis jetzt noch komplett aufgespart. Und die Schlucke, abwechselnd mit Gier und mit Bedacht gesetzt, waren einfach wunderbar. Und mit den ersten “Rülpsern” kam neue Lebenskraft zurück.
Also weiter – hinab in die Falterscharte – und neuerlicher Anstieg auf das schon so nah scheinende Gipfelkreuz. Am Grat muß man aber noch einige Erhebungen und Felszacken umgehen, ehe man endgültig auf der grasbewachsenen Gipfelkuppe auf der Leßhöhe steht.
Eine Tafel am Gipfelkreuz weist den Weg 20 Meter weiter zu einem Marterl. Hier könnte sich auch das beim Kreuz fehlende Gipfelbuch befinden. Ich habe zwar kurz, aber nur oberflächlich gesucht, konnte aber nichts entdecken.
Noch ein Schluck warmes Mineralwasser. Nicht gleich hinunterschlucken, so kann man die herrliche Nässe länger im völlig ausgetrockneten Mund behalten und genießen. Ich denke mir nur, dass ich schon oft kältere Tee´s getrunken habe. Die Sonne steht schon tief, noch immer ist es aber heiß.
Ich mache mich gleich wieder auf den Rückweg. Und was mir jetzt passiert ist, erlebe ich höchstens alle paar Jahre einmal. Ich kann kaum mehr normale Schritte machen, schmerzhafte Krämpfe durchziehen meine Beine. Die Oberschenkel und auch die Waden. Rechts mehr als links. Sollte ich nur auf einem Bein zurück hüpfen ?
Ich mußte trinken, aber dann würde ich unmöglich bis zurück ins Tal auskommen. Gedanken von allen möglichen kalten Getränken durchschossen mein Gehirn. Ganz oben auf der Wunschliste standen dabei kaltes Bier und kühlender Radler. Aber auch einem Almdudler, einem Bitter-Lemon oder einem Mineral-Zitron wäre ich nicht abgeneigt. Wie herrlich wäre jetzt ein kalter Bergsee, in den ich meinen Kopf tauchen könnte. Da fiel mir wieder ein, dass ich beim Heraufkommen ja an einer Tiertränke vorbeigekommen bin. Ein Blick in die Karte: Ja, da war eine Quelle.
Sofort begann ich große Schlucke meines warmen Mineralwassers zu trinken. Beim Abstieg würde ich meinen Durst am Brunnen löschen. Mit dieser den ausgetrockneten Körper durchziehenden Flüssigkeit und mit der wieder erwachten Motivation ging es gleich leichter und in knapp einer Stunde und 10 Minuten stand ich wieder beim Gensgitsch-Gipfelkreuz.
Abstieg und kühlendes Nass:
Durch die untergehende Sonne wurde die Temperatur jetzt auch erträglicher.
Bei einer Höhe von 1.935 Meter stand ich endlich am so lange ersehnten Brunnen. Zuvor mußte ich noch 2 Stiere vertreiben, die mir den Platz an ihrer Tränke streitig machen wollten. Ich begutachtete die Stelle, an der das Wasser aus der Erde trat und über den steinigen Boden bzw. später über eine Holzrinne in den Brunnen geleitet wurde. Keinerlei Tier-Fäkalien oder sonstige sichtbare Spuren von Verunreinigung.
Noch einmal eine Sichtüberprüfung des in der leeren Plastik-Mineralwasserflasche aufgefangenen Quellwassers. Sah gut aus. Ein Testschluck. Heeeerrrrllliiiich. Eiskalt, erfrischend …. uuuiiii – ins Gehirn fahrend.
Ich legte Rucksack, Fotoapparat, Sonnenbrille und die Uhr ab und begann, mir Gesicht, Nacken und Arme mit dem herrlich-kühlen Gebirgsnaß zu waschen. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich die beiden Stiere, die ihrerseits das Gleiche taten. Wir hatten eine auf Respekt und gegenseitigem Verständnis basierende Beziehung gefunden.
Kurzer Anruf bei der AlpenYetin, dass es doch wieder einmal ein bißchen später werden würde. Ich plante zumindest vor 23 Uhr zu Hause zu sein. In Summe hatte ich 2,5 Liter eiskaltes Quellwasser getrunken, bis mir der Bauch schwappelte (na gut, er schwappelt sonst auch schon ein bißchen ).
Jetzt hatte ich auch wieder ein bißchen Hunger und verleibte mir das “entgurkerlte” Wurstbrot ein.
Der Ausgleich meines Flüssigkeitsdefizites hat meine gewohnten Lebensgeister und Wanderenergien neu entfacht, und so brachte ich die restlichen 700 Höhenmeter zurück bis ins Tal im Laufschritt hinter mich. Die längsten Tage des Jahres mit bis zu 16 Sonnenscheinstunden erlaubten mir auch im etwas dunkler werdenden Wald ein Vorwärtskommen ohne Stirnlampe.
Die Heimfahrt:
Einen Teil des mitgenommen Quellwassers konnte ich jetzt ausschütten, den anderen Teil habe ich bei der Nachhausefahrt im Auto genossen, und war so auch überraschend frisch und überhaupt nicht müde. Zwischen Mandling und Schladming (beim Bahnschranken in die Forstau) mußte ich wegen einem Autounfall mit zahlreichen Blaulichtern von Feuerwehr, Polizei und Rotkreuzwagen ca. eine halbe Stunde warten.
Um den Ampeln in Schladming auszuweichen, fuhr ich diese Mal direkt durch den Ort. Eine Aktion, die mir so gut wie gar nichts gebracht hat, weil nach der Ostausfahrt wieder genau die gleichen Autos vor mir fuhren, wie bereits bei meiner Abzweigung an der Westabfahrt.
Zwischen Schladming und Gröbming sorgte noch ein serbischer Autobus für etwas Abwechslung, da er sich in der endlosen Kolonne Auto für Auto vorhantelte, immer in jenen Situationen, wo das Überholen entweder durch Sperrlinien oder entsprechenden Verkehrszeichen verboten war (z.B. in Aich bei der Jet-Tankstelle, in der langgezogenen Assacher-Kehre) oder wo zumindest durch entgegenkommende Fahrzeuge für etwas Nervenkitzel gesorgt war (im Bereich von Haus).
Ein langer Wandertag – mit 2 ausgewachsenen Touren geht glücklich und unfallfrei (trotz des serbischen Autobusses) zu Ende.
Die Tourenfotos gibt es demnächst im Tourenalbum bei AlpenYetis Wanderseiten.
Liebe Grüße – Dein / Ihr / Euer Christian