Nach 10-tägiger Wanderabstinenz, die sich bei einem bergsüchtigen AlpenYeti schon einmal durch ein “Zipperlein” bemerkbar machen kann, wollte ich das (Zwischen-)Hoch unbedingt wieder für eine größere Wandertour nutzen.
Eigentlich wäre für heute ein Bergfesterl mit Freunden im Pinzgau auf dem Programm gestanden, nachdem der erste Termin am vorhergehenden Samstag buchstäblich ins Wasser gefallen ist.
Da aber nicht alle Bergkameraden Zeit hatten und auch die Wetterprognose etwas “wischiwaschi” war, sagten wir den Ersatztermin kurzfristig ab. Aber beim Blick auf den nächtlichen Sternenhimmel hielt es mich nicht mehr zu Hause und ich brach früh auf, um eine schon länger geplante Tour in den Berchtesgadener Alpen – genauer im Hagengebirge – zu unternehmen.
Vor der Tourenbeschreibung zunächst aber noch ein Aufruf an meine Ex-KollegInnen: Einen Ausweichtermin haben wir noch, danach wird es knapp – dann kommt ihr nicht mehr mit so einem einfachen Gipfel davon .
Bei der nächtlichen oder – wenn man will – frühmorgendlichen Anfahrt über die Ennstal Straße B320 nach Salzburg durfte ich zu meiner Überraschung feststellen, dass jetzt eine neuerliche Straßenbaustelle zwischen Ruperting und Haus hinzugekommen ist, so dass wir Ennstaler uns jetzt über fast eine durchgängige Staumöglichkeit bis zur Tauernautobahn erfreuen dürfen.
Aber auch auf dieser geht es mit Baustellen weiter – scheinbar das altbekannte und äußerst phantasiereiche Mittel, um die Wirtschaft wieder etwas anzukurbeln.
Bei Golling fahre ich von der Autobahn ab und – fast schon wie üblich – wähle ich zunächst einmal die falsche Richtung. Ich suchte die in der Karte Richtung Bluntautal eingezeichnete Straße und fuhr ein Stück Richtung Paß Luegg. Die Straßenabzweigung führt aber zu einem Werksgelände und ist für den öffentlichen Verkehr nicht zugänglich (zumindest wenn man die Fahrverbotstafel ernst nimmt).
Also wieder zurück in das Ortszentrum von Golling und dort leitet auch eine gute Beschilderung über die Bahngleise und die Salzach in das Bluntautal.
Am letzten Parkplatz vorbei fahre ich noch ca. 2,5 Kilometer weiter bis zum Gasthof Bärenhütte / Bärenhof. Dieser “letzte Parkplatz” muß an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen aber dann genutzt werden, wenn man erst nach 10 Uhr anreisen würde, denn in der Zeit zwischen 10 und 17 Uhr ist die Schotterstraße für den Individualverkehr gesperrt. Wieder rausfahren ist allerdings immer erlaubt.
Landkartenausschnitte © BEV 2009, Vervielfältigt mit Genehmigung des BEV © Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen in Wien, T2009/52304
Eine detaillierte Kartenansicht des Tourengebietes kann ich Euch leider nicht anbieten, da ich diese Region landkartentechnisch nicht lizenziert habe, weil die Gebirgsgruppe der Berchtesgadener Alpen (noch) nicht zu meinem Kerngebiet zählt.
Beim Gasthof Bärenhütte angekommen, “verstaue” ich das Auto in einer der Parknischen zwischen hohen Bäumen.
Mit Stirnlampe folge ich der Forststraße weiter taleinwärts. Da es trotz sternenklarem Himmel stockdunkel ist, entscheide ich mich bei der folgenden Weggabelung etwa 600 Meter weiter für die Route über den Forstweg zu den Jochalmen, da ich mich dabei nicht so sehr auf den Weg konzentrieren muß und zügiger vorankomme.
Der schmale Schotterpfad schlängelt sich gekonnt in unzähligen Serpentinen höher. Im Osten beginnt sich der Horizont langsam zu erhellen und spätestens bei der Unteren Jochalm kann ich auf die Unterstützung der Stirnlampe verzichten.
Ab der Talstation der Materialseilbahn zum Carl-von-Stahl-Haus halte ich mich jetzt an den markierten Wandersteig, der die jetzt noch einmal schmäler werdende Almstraße abkürzt, aber noch einige Male kreuzt.
Spätestens bei der Oberen Jochalm (1.399) geht es dann aber ohnehin nur mehr am Wanderweg weiter. Bei den Almhütten beobachte ich eine Weile eine gar nicht scheue Gams beim Frühstück. Nachdem Sie Notiz von mir genommen hat, äst sie friedlich weiter, nur gelegentlich wirft sie mir einen verstohlenen Blick aus den Augenwinkeln zu.
Auch im weiteren Tourenverlauf werde ich noch auf eine Vielzahl von Gämsen treffen, doch das sollte heute beileibe nicht die einzige animalische Begegnung bleiben.
Im Bereich der Alm habe ich das Gefühl, als würde hinter mir ein Auto nachkommen ???
Und tatsächlich fährt ein kleines Geländeauto an den Hütten der Jochalm vorbei über die von Pferden und Kühen bevölkerten Almweiden höher. Kurz später vernehme ich die aufheulenden Geräusche “bissiger” Motorsägen.
Auf gutem Steig erreiche ich schließlich das bereits vollauf in der Sonne liegende Carl-von-Stahl-Haus, in dessen Umfeld sich bereits erste Wanderer auf den Weg Richtung Süden zum Schneibstein, aber auch Richtung Norden zum Hohen Brett aufmachen.
Drei Mountainbiker starten gerade ihre Abfahrt hinunter über meinen Aufstiegsweg zu den Jochalmen, zwei Personen nutzen die Materialseilbahn für einen kraftsparenderen Abstieg.
Der Wanderweg vom Carl-v.-Stahl-Haus zum Schneibstein und weiter über meine anderen 3 Gipfel bis zum Hochseeleinkopf verläuft immer direkt an der Staatsgrenze zwischen Österreich und Deutschland.
Der markierte Steig ist breit und nicht schwierig, die vielen Steine am Weg sind aber recht feucht und rutschig, was das Vorwärtskommen nicht unbedingt vereinfacht.
Vor mir und hinter mir sind auch noch etliche andere Wanderer am Weg zum Gipfel. Die meisten haben im völlig ausgebuchten Stahl-Haus genächtigt.
Bei den 2 Gipfelkreuzen am Schneibstein (2.276) angekommen, entschließe ich mich deshalb, meine Jause erst später am nächsten Gipfel einzunehmen. Platz hätte es am Wiesenplateau zwar genug gegeben, der durchdringende “Zigarettenduft” einiger Gipfelstürmer minderte aber meinen Appetit.
Ob in den Kassetten bei den Kreuzen auch Gipfelbücher enthalten waren, habe ich gar nicht nachgeprüft. Für ausgiebige Fotografiererei nahm ich mir aber dennoch ausreichend Zeit.
Bald aber ging es weiter am markierten Wanderweg der “Kleinen Reibn” bis zur Windscharte (2.103), wo ich den Steig nun aber endgültig verließ.
Denn vom Windschartenkopf (2.211) grüßte ein großes Gipfelkreuz herunter. Und am Gipfel war auch ein Wanderer erkennbar. Die “Gämse” neben ihm schienen sich durch seine Anwesenheit nicht beunruhigen zu lassen. Sie “frassen ihm ja fast aus der Hand”.
Beim Näherkommen stellte sich aber rasch heraus, dass die Vierbeiner am Gipfel keine Gämse sondern Steinböcke waren, umso größer war auch das Glücksgefühl, diese erhabenen Tiere aus nächster Nähe beobachten und fotografieren zu dürfen. Leider zog just in diesem Moment dichtere Bewölkung auf, so dass die Fotos nicht nach meinem Geschmack gerieten.
Fast zeitgleich mit mir kam auch eine ältere Dame am Gipfel an, die ebenso wie ich sehr begeistert von diesem nicht alltäglichen Ambiente wahr.
Der Wanderer, der seinen folgsamen und liebenswürdigen Hund mithatte, wußte interessante Informationen über dieses Steinbock-Rudel zu erzählen. Genau 14 Tiere haben sich hier zwischen Kahlersberg und Windschartenkopf niedergelassen. Elf von ihnen habe ich zeitgleich gesehen, einmal glaubte ich auch ein zwölftes Exemplar zu erkennen, war mir aber nicht vollkommen sicher. Bei zunehmender Bewölkung waren die prächtigen Tiere nicht mehr ganz leicht vom fast farbgleichen Wiesenboden zu unterscheiden.
Einer der großen Steinböcke – so erzählte mir der Hundebesitzer, der auf dem Stahl-Haus übernachtet hat – hat seinen Hund mit den Hörnern weggestossen. Einen Hund einer Salzburger Jägerin soll er sogar aufgeschlitzt und getötet haben. Dass diese Tiere auch vor Menschen keinerlei Angst haben, konnte ich wenig später selbst feststellen.
Der Wanderer warnte mich auch noch, dass ich mich zurückziehen solle, wenn Sie zu pfeiffen beginnen. Bei Menschen stampfen sie vor dem Angriff auch mit einem Vorderfuß – meist dem rechten – auf. Ob es auch “Linksfüßler” gibt, ist nicht bekannt .
Gegenüber dem Hund verhalten sie sich wieder anders. Bei ihm schlagen sie zur Warnung die Hörner gegen Steine.
Als die anderen Wanderer und Hund die Gipfelregion wieder verlassen haben, sitze ich noch eine Weile am Gipfel und sehe fasziniert den eindrucksvollen Tieren zu.
Einige ruhen sich aus, andere stärken sich mit sichtlichem Genuß am Almgrase, welches sie mit deutlich vernehmbaren “Quietschen” der Grashalme ausreissen.
Als ich dem größten und wohlgenährtesten Tier zu nahe komme, ist es von dieser Störung sichtlich genervt. Ein lautes an ein Niesen erinnerndes Pfeiffen läßt mich dem nicht zu überhörenden Wunsch des “Riesen” nach einigen Metern mehr Abstand rasch nachkommen.
Als ich mich noch einige Male zu weit nähere, genügt aber bereits sein durchdringender Blick, um mir Respekt einzuflössen und die Distanz wieder etwas zu vergrößern.
Lediglich die jüngeren und kleineren Tiere waren etwas scheuer. Als ich mich ihnen nähere, traben sie einige Meter davon.
Mehr als eine Stunde verbringe ich mitten unter den Tieren und fühle mich wie Dian Fossey im Kreise ihrer Berggorilla. Ich wurde eins mit den Tieren und lediglich in der Ausdünstung gab es Unterschiede. Die Steinböcke rochen nicht so streng .
Schließlich nahm ich aber doch Abschied und machte mich an den Weiterweg, denn von der Windscharte weiter unten war der Rückweg über Hinterschlum ins Bluntautal mit 6 Stunden angegeben. Und ich beabsichtigte aber zuvor noch einige weitere Gipfel zu besuchen.
Über den nahen Schlumkopf (2.204) wanderte ich nunächst noch weiter Richtung Süden auf den Hochseeleinkopf (2.109) – immer entlang der Staatsgrenze und weglos.
Von hier stieg ich nun ostwärts über eine Edelweißwiese zu einer verfallenen Steinhütte auf der Graflschlümlalm ab. Der nächste Tourenabschnitt gestaltete sich nun wieder etwas schwieriger. Zwar nicht wegtechnisch, aber von der Orientierung. Zu verlockend waren einige Latschengassen, aber sie hätten mich womöglich ins “Nirgendwo” geführt.
Also stieg ich zunächst wieder ein Stück bergan, Richtung Schlumkopf, den ich an seiner Ostseite umging. Hier traf ich dann in weiterer Folge auch auf Steinmandln und einen ansatzweise erkennbaren Steig, der mich nach Norden zum markierten Wanderweg brachte, der von der Windscharte nach Hinterschlum führt.
In der Folge blieb ich immer am markierten Weg, was zumindest das Problem der Orientierung wesentlich vereinfachte.
Aber die Route zurück zum Ausgangspunkt ist noch sehr weit und auch die ab hier meist schlammigen Wegpassagen und die glitschigen Felsstellen und Steine machten das Vorwärtskommen nicht unbedingt leichter.
An der verfallenen Hütte der Hinteren Schlumalm vorbei wandert man nahezu immer auf gleicher Höhe durch den schluchtartigen, engen Taleinschnitt – an beiden Seiten von hohen steilen Felswänden umgeben – unter den Augen Dutzender Gämse bis zu einer Weggabelung, die alternative Abstiege ins Tal anbieten.
Ich entscheide mich für den 1 Stunde längeren Weg über den Vorderschlumsee (man gönnt sich ja sonst nichts). Weiter unten treffen aber beide Varianten ohnehin wieder aufeinander. Neben der längeren Wegstrecke ergibt sich der Mehraufwand für meine Route auch durch einen Wiederaufstieg über etwa 100 Höhenmeter nach dem Passieren des Sees.
Das Gebiet um den Vorderschlumsee und auch weiter hinab ins Tal ist geprägt durch steilen bis sehr steilen Wald und überall ist es auffällig feucht und nass.
Nach dem Wiederzusammentreffen der beiden Wegvarianten helfen Sicherungseinrichtungen über ausgesetzte senkrechte Felswände hinweg.
Während die Holz- und Eisenleitern einen guten Eindruck machen, sind die Drahtseilsicherungen nicht überall vertrauenserweckend.
Das Hauptproblem des Steiges war für mich aber weniger die Ausgesetztheit als die Glitschigkeit der Felsstufen und teilweise auch der Holzstege. Trotz konzentriertem Auftreten konnte ich einige Male ein Ausrutschen nur durch heftiges “Armrudern” und wohl auch nur mit Schutzengel verhindern.
Was noch erschwerend hinzukommt, sind die nun fast schon 30 Kilometer und mehr als 2.200 Höhenmeter, die man hier schon in den Beinen hat, und so bin ich mehr als froh, als ich endlich wieder – und vor allem noch bei Tageslicht – mein Auto beim Bärenhof erreiche.
Bei der Nachhausefahrt komme ich bei Golling sogar noch in einen kurzen Regenschauer.
Alles in allem wieder eine außergewöhnlich erlebnisreiche Wanderung im Hagengebirge, welches zur Gebirgsgruppe der Berchtesgadener Alpen zählt.
Routenverlauf:
Golling: Bluntautal / Ghf. Bärenhütte – Untere Jochalm – Obere Jochalm – Carl-v.-Stahl-Haus – Schneibstein – Windscharte – Windschartenkopf – Schlumkopf – Hochseeleinkopf – Ht. Schlumalm – Vorderschlumsee – Ghf. Bärenhütte
Vor allem vom Abstieg durch das enge Schlumtal und entlang der Felswände zurück ins Bluntautal war mein GPS-Gerät heute nicht sonderlich begeistert. Sehr oft fiel es zwischendurch aus.
Achja, beinahe hätte ich es vergessen: Ich habe im Titel dieses Beitrages das Wort “Grenzerfahrungen” genannt, aber auch “Grenzgang” oder “Grenzwanderung” wären passend gewesen.
Neben dem herrlichen Steinbock-Erlebnis war die Grenzerfahrung aber vor allem dadurch gegeben, dass ich jetzt weiß, wie es ist, wenn man mit einem Fuß in Österreich und mit dem anderen Fuß in Deutschland geht. Und zwischendrin kitzelt das Niemandsland .
Weiterführende Links
Bereits absolvierte Touren in der Umgebung in den Berchtesgadener Alpen:
Hoher Göll und Kehlstein – Tourenstatistik
Hoher Göll und Kehlstein – Fotobericht
Tristkopf – Tourenstatistik
Tristkopf – Fotobericht
Rifflkopf und Hochgschirr – Tourenstatistik
Rifflkopf und Hochgschirr – Fotobericht
Im Tennengebirge:
Knallstein und Wieselsteine – Tourenstatistik
Knallstein und Wieselsteine – Fotobericht
Links zu dieser Tour
Statistik im Tourenbuch
Fotobericht im Tourenalbum
Liebe Grüße – Dein / Ihr / Euer Christian